Gibt es die Berliner Mauer immer noch?

Die Berliner Mauer teilte die Stadt seit dem 13. August 1961 für 28 Jahre, zwei Monate und 28 Tage. Sie fiel am 9. November 1989, als Günter Schabowski, ein hochrangiger ostdeutscher Beamter, fälschlicherweise ankündigte, dass die Einreise nach Westberlin nun zulässig sei.

Die Leipziger Proteste gelten weithin als Beginn des Endes der DDR. Doch fast 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer besteht nach wie vor eine psychologische Kluft zwischen Ost und West: Die Ostler fühlen sich immer noch als zweitbeste abgeschnitten. Manche beschweren sich darüber, dass die Wiedervereinigung eine verpasste Gelegenheit sei, Deutschland mit einer neuen Verfassung neu zu gestalten. War die deutsche Wiedervereinigung erfolgreich oder sind die Unterschiede immer noch zu sehen?

Politik – bei den Wahlgewohnheiten hat sich nichts geändert

Die ehemalige Route der Berliner Mauer teilt auch heute noch die Stadt, zumindest wenn es um die Politik geht. In den Wahlkreisen des Ostens entschieden sich die Wähler für Die Linke, die von der alten kommunistischen Partei abstammte. Im Westen stimmten die Einwohner für die Sozialdemokraten und die Christdemokraten (CDU), beide ehemals westdeutsche Parteien. An einigen Orten im Zentrum Berlins, zu beiden Seiten der Mauer, haben sich die Grünen durchgesetzt – und eine genauere Betrachtung zeigt, dass es sich dabei um Gebiete handelt, in denen eine große Anzahl junger, professioneller Zuwanderer zu finden ist.

Es wundert nicht, dass sich die Wahlgewohnheiten nicht wesentlich geändert haben. Abgesehen von den Gentrifizierungsgebieten in der Mitte sind die Bevölkerungszahlen wahrscheinlich gleich wie vor dem Fall der Mauer geblieben.

Wirtschaftliche Mauer blieb bestehen

Während es heutzutage kaum Anzeichen für eine physische Mauer gibt, bleibt eine wirtschaftliche in der Tat groß. Die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung im Osten liegt bei etwa 73 Prozent des westlichen Niveaus, was eine erhebliche Verbesserung gegenüber den 1991 gemeldeten 42 Prozent darstellt, doch das Wachstum ist im letzten Jahrzehnt ins Stocken geraten. Die Regierung gibt dem Mangel an Großunternehmen im Osten die Schuld: Kein im DAX vertretenes Unternehmen hat dort seinen Hauptsitz.

Die Auswirkungen auf die Arbeitnehmer sind bemerkenswert: Die Ostbevölkerung verdient im Durchschnitt etwa 82 Prozent weniger als die Westbevölkerung. Spätkanzler Helmut Kohl, der Architekt der Wiedervereinigung, versprach den Ostdeutschen 1990 „blühende Landschaften“, doch die wirtschaftliche Erholung des Ostens erwies sich als weitaus langsamer und schmerzhafter, als er gedacht.

Zwei Millionen Menschen, insbesondere junge Menschen und Frauen, haben die Region seit der Wiedervereinigung 1990 verlassen. Nur wenige große globale Unternehmen haben sich mittlerweile niedergelassen. Nach einer Liquiditätsspritze von 2 Milliarden Euro über drei Jahrzehnte liegt die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung des Ostens immer noch bei drei Viertel des westdeutschen Niveaus. Die Produktivität ist geringer und die Arbeitslosigkeit 2 Prozentpunkte höher als im Westen.

Fruchtbarer Boden für extreme Parteien

In einem Regierungsbericht über den Zustand der deutschen Einheit wurde eine Umfrage zitiert, aus der hervorgeht, dass sich 57% der Ostdeutschen als Bürger zweiter Klasse fühlen. Nur 38% im Osten sahen die Wiedervereinigung als Erfolg an, darunter nur 20% der Menschen unter 40 Jahren. Seit 1990 haben viele Ostdeutsche versucht, „deutscher“ zu sein als die Bundesdeutschen jemals – was zu einem offenen Nationalismus und Rassismus führte.

Das Minderwertigkeitsgefühl der Ostländer bietet extremen Parteien einen fruchtbaren Boden. Im ostthüringischen Bundesland sprach sich bei den letzten Regionalwahlen eine Mehrheit der Wähler für die rechtsextreme AfD und die linksextreme Linke aus. Die Attraktivität Ostdeutschlands wird wegen Fremdenfeindlichkeit als Wirtschaftsstandort beeinträchtigt. Die Nachricht ist nicht bei allen angekommen.

Ein Bericht des ZEW Anfang des Jahres zeigte, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Asylbewerber in Ostdeutschland zum Opfer von Hassverbrechen wird, zehnmal höher ist als in Westdeutschland. Die rechtsextremen Unruhen in Chemnitz im vergangenen Jahr sind die schlimmsten Zusammenstöße in Deutschland seit Jahrzehnten und sie haben das Bild eines enttäuschten und radikalisierten Ostens nur bestärkt.